Manuela Hartel > NARROWNESS

Multimediale Installation, 2023
Foto, Text, Video, Baumwoll-Gaze, Stoff, Moorschlamm, Leim, Epoxidharz

NARROWNESS 01 Ich reise, um Weite und Geschwindigkeit als Geist, Körper und Seele wahrzunehmen. Ich sehe mich als geistiges Wesen, das in einem Körper lebt und eine Seele hat. Die Masse, oder das Gewicht meines Körpers in Bewegung versetzt, lässt mich Freiheit und Leichtigkeit erleben. Mein Verstand und meine Wahrnehmung sind klarer und dauerhafter im Hier und Jetzt. Der Alltag ist oft eng.  Trotzdem ich die Weite der Natur liebe, zieht es mich zurück zwischen Häuser, in die Wohnung, in den abgegrenzten Raum. Wieso die Sehnsucht nach einer Höhle? Das Bedürfnis, eine Abgrenzung zu schaffen nach dem Außen, nach dem Fremden. Ist es Angst? Wieso denke ich, daß ein Bau mir Schutz bietet. 

NARROWNESS 02 – Jesus sagte, die Füchse haben ihren Bau doch des Menschen Sohn hat nichts, wo er seinen Kopf hinlegen kann. Was meinte er? Der Drang nach Freiheit und der Drang nach Begrenzung. Beides scheinbar menschliche Notwendigkeiten. COVID hat mich die Dimension von Raum und Freiraum überdenken lassen. Auch die Dimension von Abgrenzung und Übergriff. Die Natur mit ihrer unendlichen Weite bekam etwas Religiöses. Also brauche ich die Weite der Natur und den offenen Himmel über mir, um eine Ahnung von Freiheit und Raum zu bekommen. Gleichzeitig suche ich wieder die Enge und Begrenztheit, um mit der Weite überhaupt klarzukommen. 

NARROWNESS 03Auch Menschen setze ich mit mir in die Enge hinein, sie gehören in den beschränkten Lebensraum. In der endlosen Weite existieren sie nur in Gedanken. Menschen erfreuen mich, wir nähren uns wechselseitig – gedanklich, seelisch, geistig. Aber wir schränken uns auch ein, wir nerven uns, wir kommen uns zu nah und überschreiten manchmal Grenzen. Mein Leben scheint ein Gang auf diesem schmalen Grat zu sein. Um nicht im Übergriff unter zu gehen, aber mich auch nicht endlos im Freiraum zu verlieren – und wahnsinnig zu werden. Die Geschwindigkeit beim Reisen lässt mich den Raum besser spüren. 

NARROWNESS 04Die Geschwindigkeit beim Reisen lässt mich den Raum besser spüren. Meine Gedanken sind dynamischer. Auch diesen Text spreche ich während einer Autofahrt. Eine Autofahrt, die ich in einem sehr begrenzten Raum – dem meines Autos – zurücklege. Es geleitet mich in kürzester Zeit durch die endlose Weite eines überschaubaren Ausschnitts dieser Welt. Das Zusammenwirken von Abgrenzung und Enge einerseits, mit Weite und Freiheit andererseits, beflügelt meine Sinne. Ich ruhe in der Bewegung. Aus Geschwindigkeit und Ruhe ergibt sich für mich Dynamik und Rhythmus. Alles Visuelle schlüsselt sich für mich darin auf.

NARROWNESS 05Den Begriff der Enge spüre ich sofort sehr körperlich. Meine COVID Erkrankung hatte mir gezeigt, wie kostbar mein Atem ist und wie nah beieinander meine Psyche und mein Körper sich sind. Meine Panik vor dieser Krankheit hatte die Lungenaktivität des Virus verstärkt und die Atemnot, die das Virus in der Lunge hervorrief, löste wiederum Panik-Attacken aus. Beides machte sich durch Enge in der Brust bemerkbar. Der Begriff der Enge, der Gedanke an Enge, schlechte Luft und schlechte Gedanken lösen seither ein Gefühl der Enge bei mir aus. Ich versuche, die in der Natur erlebte Weite zu erhalten, indem ich die Idee von Weite mit nach Hause nehme.

NARROWNESS 06Vor einem wichtigen Ereignis, auf das wir hinsteuern, gibt es oft eine Engstelle. Die Zeit drängt. Viele Dinge geschehen gleichzeitig. Es scheint als verdichtet sich etwas bevor es sich dann wieder weiten kann. Wie bei einer Geburt, oder beim Jahreswechsel, oder beim Sterben. Wir verlassen die Enge unserer Körperlichkeit für eine ungewisse, unbegrenzte Freiheit. Vielleicht sind wir dann nur noch Freiheit. Vielleicht geht unser Geist auf, löst sich auf in Freiheit und ist endlich frei. Ein Zustand der mir, die ich in meiner Körperlichkeit begrenzt bin, schwer zu ertragen scheint. Es braucht Vertrauen um sich darauf einzulassen. Je länger ich als Künstlerin arbeite, desto mehr dreht sich für mich alles nur um diese eine Frage: Vertrauen. 

NARROWNESS 07Ich will vertrauen. Das scheint mir der gesündere Weg. Ich will einen Sinn sehen in meinem Leben, denn das lässt mich Hoffnung haben und ohne Hoffnung ist alles dunkel. Ich will mich freuen auf das was kommt, also glaube ich dass der, der mich erwartet, es gut mit mir meint. Auf meiner Reise hat mich dieses Tuch begleitet. Allerorts breitete ich es aus, um das nicht Sichtbare eines Ortes einzufangen. Ich breitete es aus wie ein Netz, um alles virtuelle, digitale, geistige, spirituelle, energetische, aufgeladene – eben alles Unsichtbare einzufangen. Es sind unsichtbare Fische in diesem Netz. Es könnte auch einfach nur Sand und Staub sein. Wer weiß das schon so genau. 

NARROWNESS 08Es geht um die Fantasie! Es geht um die Story. Es geht um die Verbindung die mein Kopf, also meine Gedanken, meine Erinnerung, meine Wahrnehmung und die anschließenden Prozesse die dazu stattfinden, miteinander machen. Es sind Prozesse die in meinem Inneren stattfinden. Wenn ich einen Film schaue, erlebe ich – wenn es ein guter Film ist – alles sehr persönlich, obwohl es die Geschichte einer anderen Person ist. Ich entscheide, dass dieses Tuch in dem Moment in dem ich es aus bereite, alles Unsichtbare symbolisiert. Ich entscheide, dass ich es innerhalb dieser Geschichte aufladen kann, durch meinen nicht sichtbaren Fang. 

NARROWNESS 09Ich brenne darauf zu verstehen, ob sich diese Idee in irgendeiner Form erleben lässt. Ob andere Menschen sie wahrnehmen können, dadurch, dass ich diese Entscheidungen treffe, sie visualisiere, die Story erzähle. Oder – noch besser – ob sie vielleicht etwas völlig anderes wahrnehmen. Alles was uns interessiert wird ausgelöst durch Anreiz, auf Anregung, sei sie visuell, auditiv, emotional, olfaktorisch, geistig, gedanklich – Hauptsache etwas regt uns an. Es kann auch Alkohol sein. Oder Arbeit. Oder eben Kunst.